Vitrine 2
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„Ich will Ihnen lieber schriftlich sagen was mich gestern so plötzlich und so sehr außer Faßung brachte; weil man mündlich bey nah nie ununterbrochen sprechen kann u mit Ihnen gar nicht. Ich will auch nicht behaupten, daß ich mich nicht geirrt habe; sondern ich will Ihnen den Eindruck erzehlen den der Vorfall auf mich machte.
‚Die Menschen verstehen einander nicht.‘ Und so können sie auch nie berechnen welche Opfer sie sich bringen – wie Sie mir schon oft sagten – noch welchen Eindruk eine Äußerung, ein Wort, ein Blik, machen muß – da man den Gemüths u Geisteszustand nicht kennen kann, in welchen dieses Wort dieser Blik dieser [eingefügt: Äußerung] Blik fällt. Dies ist wahr; u muß uns gleich gelten ob es an oder unangenehm ist; u am Ende der Dinge, ist es auch wieder gut: wie alles was wenn wir es verstehen. Ich war in meiner Seele überzeugt, daß Sie lieber bey mir sind, als in ganz Berlin. Am wenigsten konnt ich nach allem was ich erlebt hatte glauben, daß Sie lieber vor dem Königsthore wären. Es war mir äußerst lieb Sie zu sehen aber nicht nothwendig – gewohnt [darüber: bekannt] mit dem Gedanken, u meine ganze Lebensart danach eingerichtet s Sie die kurze Zeit Ihres Bleibens noch beständig zu sehn u in der Meinung, daß es auch bey eine Art Einrichtung ist – nothwendig wenn ich, wenn es mir auch lieb geblieben wäre, nach der Erfahrung, daß es Ihnen nicht eben [eingefügt: so] lieb ist, u
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geradezu hier das Liebste. In dieser Überzeugung wie eingesenkt, befehl ich Ihnen fast zu kommen; u spaße nur, u finde nichts s Spaßhaftes dabey; als daß die B: [oberhalb ergänzt von Karl August Varnhagen: Frau von Borstel] daß nicht so einsiht wie ich, u in’s Blaue hinein etwas anderes [oberhalb eingefügt: dem Widersprechendes], bittet u beynah befehlend zu erhalten sucht; kurz apatisch gutmütig sich unwißend mit mir mißt. Sie bestärken mich in der beßern Absicht, u aus Delikatesse, aber mit der größten Natur u Geschiklichkeit in meinem langen Irrthum. Woraus mich plötzlich ein Ungefähr hebt. Mit einemmale seh ich weder mir noch Ihnen einen Gefallen gethan zu haben – von gestern zu sprechen! – seh’ daß Sie mir ein Opfer gebracht haben, wo ich Ihnen eins gebracht zu haben glaubte; kurz, ich sah mich behandelt wo ich mit Liebe zu behandeln glaubte. Dies wäre genug gewesen um mich sonst, u mit jedem andern als Sie, ganz aus dem Sattel zu heben: dies ist aber nicht mehr. Und ich gebe Ihnen mein heiligstes Ehrenwort, daß mich ganz etwas andres erstarrte, plötzlich erstarrte, wie Sie wohl richtig bemerkten. Mir war bis jetzt nichts verächtlicher, als wenn ein Mensch nicht weiß wie er mit dem andern steht; u noch kenne ich nichts Haßenswürdigeres, besonders wenn ein Weib das nicht weiß. Dies zu bewundern, die Möglichkeit davon zu erwägen, mich darüber zu ereifern, war ein Gespräch, worauf ich von Jugend auf, mit jedem meiner Freunde unfehlbar oft kam: mich glaubt ich diesem Irrthum nie
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unterworffen; behauptete es oft u laut, u kam in nie davon zurük wenn ich’s sah: trug ewig den Menschen, die sich darin irrten, einen heimlicher Haß. Behielt in meiner Wage-Liebe – so nenne man die größte deren man fähig war – selbst mein Urtheil, ich hoffe nämlich nie. Miteinemmale seh ich aber, daß auch auich darin auch irren [h] kann: seh daß auch ich nicht weiß, wie theuer ich einem Menschen bin oder nicht; sehe daß ich mich nun zeitlebens kann geirrt haben. Daß ich für die Zukunft und die Vergangenheit nicht sicher bin. Dieß stürzt mich ganz um. Auf diese Kenntnis setzt’ ich den größten Werth u plötzlich sah ich sie verloren! Mißverstehen Sie mich ja nicht; ich glaube mich Ihnen so werth, als ich’s je that. Aber ich konnte mich irren, in einer Kleinigkeit, aber tief irren, u das werd’ ich nie vergeßen. Wenn Sie das für eitel halten, so bin ich zügellos; wie kein Anderer.“