Vitrine 3
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„Berlin, den 12te März, Abends halb 9 1810. Dienstag.
Es ist eine Schandthat daß ich Ihnen nicht schrieb: ein Unglük; ein Unglük wie jede Schandthat! Theuere geliebte Freundin, u Freund! Weh! – mein wundes Herz weint dieses Weh! – Weh! daß unser Leben wegrinnt ohne daß wir zusammen leben. Sie sind allein, getrennt von mir, u ich bin allein, entfernnt von Ihnen. Nur Einmal konnte die Natur zwey solche zugleich leben laßen. In diesem Zeitalter. Alle Tage sehe ich Sie, u die Natur, u mich mehr. Entfernt von Ihnen, thue ich nichts, als mir jedes Wort, jede kleine That von ihnen repetiren, jede Äußerung; u glauben Sie, zu nennen weiß ich die Prinzipien Ihres ganzen Wesens, Ihres Seyn’s beßer, als Sie selbst: es ist nur ein Unterschied sp zwischen uns, Sie leben alles; weil Sie Muth haben, u Glük hatten; ich denke mir das meiste; weil ich kein Glük hatte, u keinen Muth bekam; d nicht den, dem Glüke, das Glük abzutrotzen es ihm aus den Händen zu ringen; ich habe nur den, des Tragens erlernt; aber groß verfuhr die Natur in uns beyden. Und wir sind geschaffen, die Wahrheit in dieser Welt zu leben. Und auf verschiedenem Wege, sind wir zu einem Punkt gelangt. Wir sind [durchgestrichenes Wort] neben der Menschlichen Gesellschaft. Für uns ist kein Platz, kein Amt, kein eitler Tittel da! Alle Lügen haben keinen: die ewige Wahrheit, das richtige Leben u Fühlen, daß sich unabgebrochen auf einfach tiefen Menschenanalagen, auf die für uns zu fassende Natur zurükführen läßt, hat keinen! Und damit sind wir ausgeschloßen aus der Gesellschaft. Sie, weil sie sie beleidigten. (Ich gratulire Sie dazu! so hatten Sie doch etwas; viele Tage der Lust.) Ich, weil ich mich mit ihr sündigen u lügen kann. Ich weiß ganz Ihre innre Geschichte.“