Intime Kommunikation

Vitrine 4

Brentano 1.8.1813 S. 1
Brentano 1.8.1813 S. 2
Brentano 1.8.1813 S. 3

[Seite 1, sichtbar, Auszug ab Zeile 13]

„Lieber Clemens hätten Sie die Antwort die ich damals dachte, bey jeder Zeile in mir fühlte. Ein ganzes inneres Daseyn in seiner völligen Zeitausdehnung haben Sie in mir zum Leben geweckt. Ich freute mich über ihren Brief, ganz eigentlich, er ging mir bis in’s stillste lebendigste Innre: Satisfaktion hatte ich davon. Und auch das Gegentheil; keine Kränkung. Jedoch, ich verachte sie bis zur Verwerffung; nämlich, das uns immer [Einfügung das oberhalb gestrichen] nur doch unverständliche Schicksal, welches uns eine ganze vergangene Zeit voll aufdringt. Sie werden mich noch nicht verstehen Clemens: ich meine nicht die Kränkung die Sie mir zufügten, (von der weiß ich nichts, als daß ich Ihnen Ihre abnehmen möchte, um jeden Preiß; aus dem Bewußtseyn Anderer; denn auch Sie werden sie nicht zu theuer finden für den Erwerb meiner bekanntschaft. Auch ich fühlte mich unendlich beleidigt; u das Exempel aus dem 3ten Rang ist ganz wahr, und drükt lange noch mein Gefühl, u meine Situation nicht aus: ich schrieb auch damals meinem Freunde: ‚Es geschieht mir recht; ich will mich aber beßern; man soll sich nie Menschen gewinnen wollen.‘ Ich thue es auch nicht mehr pour la bonne bouche meines Herzens, nie mehr; Meine

 

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Meine Anrede an Sie u mein Gruß, in meines Freundes brief, der auch nur eine Antwort auf Ihren war; war doch bey weitem nicht eine coquetterie jener mir verhaßten Art: sondern ein langmüthiges Berichtigen, Ihrer u Ihrer Schwester unbedachten Ausfälle gegen mich. Diese Langmuth wie ich es hier nenne, war mir von der Natur in meinem ganzen Wesen, u fühlbar im Herzen beygegeben, durch eine ganz bestimmte Neigung zu Ihnen u Ihrer Schwester, so bald ich Sie nur zu Gesicht bekam. Jede Liebe ist eine Ueberzeugung, der innersten Art; eine absolute. Darum ist sie auch immer so zuversichtlich, dreist, und obstinat, so ganz und gar mißverstanden u mißhandelt im Gewühl, u so unsterblich; wenn auch der Inhaber selbst oft nicht mehr nach ihrem Leben hinhöhrt. So wie Sie mich jetzt finden; so ging ich damals auf Sie zu, so war ich; u beßer. Nun denken Sie sich! Es ist alles getillgt! rein u lieb nehm’ ich in’s Herz auf, alles was Sie mir sagen, und seyn können; u nur gekränkt ist dies Herz, daß es nicht auch in Ihrem alles Abscheuliche ungeschehen machen kann! Wenn wir mit einander sprachen ging es nicht, daß ich Ihnen alles sagen konnte was ich meinte, Sie litten es nicht – aber ich sehe, Sie haben auch gehöhrt was ich nicht sagte; mir es angesehen; ich spreche aber auch gerne, wie Clemens u Bettina; u es war mir unangenehm wenn Sie mich nicht reden lißen. – Jetzt aber schike ich’s Ihnen in Papier, und Sie müßen es nehmen. Lieber Clemens! Ich habe auch harte Momente gehabt von der Geschichte, u wirklich, wie selten ist das, mich dadurch gebeßert: beschließen Sie das [eingefügt: auch] in sich: niemals mehr, als mit Ihrem Urtheil über Menschen zu urtheilen, zu entscheiden, zu schwatzen. Ich weiß Sie können plötzlich sich darin ändern, und auf ewig.) Diese große Parenthese mußt’ ich schreiben weil ich es nicht schreiben kann: nun will ich zu sagen suchen was ich vor ihr gerne herausgebracht hätte! Nun höhrt die Parenthese erst auf. Ich meine, warum muß ich mich so sehr schämen, daß ich gerechter und unbefangener bin, als beynah die meisten

 

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andern klugen Leute; das führen Sie mir in Ihren Briefen so recht vor die Seele, indem Sie mir von dem Urtheil sprechen was man über Sie und mich, u die Beßern fällt. Ich war himlisch liebenswürdig, gerade in den Zeitepochen, aus denen her man über mich schimpft: hätte man’s mir nie wieder gesagt! denn ist es wahr, wie ich es denn manchmal sehr ärgerlich fühle, daß ich nicht mehr so unschuldig bin, so besteht die ganze Verletzung dieser Unschuld darin, daß ich jetzt was auf mich halte; u denken muß, ich bin etwas werth, u beßer, als Viele: sonst dacht ich gar nicht von mir, u das war göttlich! Und woher kommt es das ich an mich denken muß? Von den Anderen. So viel Schlechtes haben Sie mir nachgesagt, in mein Gesicht hinein, unermüdlich geurtheilt, vorausgesetzt, und auspunktirt, gelogen; einen solchen übertriebenen Werth auf das Gegentheil davon gesetzt – welches in meinen Augen Nichts, nur ganz natürlich; eine Negation war – daß ich nun endlich denke, ich bin etwas Rechtes, weil man mir gar nicht glauben will wer ich bin: u immer gedacht habe: [‚]hm! die haben solches kleines Ideal, daß es vor ihnen steht. du‘! So zwangen die wilden, dünkelreichen, sinnlosen Barbaren, die mir mir nie genug [oberhalb eingefügt: genügten], u die ich am ehrlichen busen hegte, weil sie – beynah – menschlich Angesicht trugen, mich in mein Kindererstaunen u Ekel fortzufahren [zwangen], welches mir die Bücher machten, in welchen ich lesen lernte [Einfügung oberhalb unkenntlich durch Papierriss], daß da immer Menschen u Handlungen gelobt werden, worauf der Galgen steht, wenn man sie unterläßt! Und Sie Clemens finden das Urtheil der Welt über Sie und mich nicht ungerecht? Ich finde es absolut durchaus, evident albern. Ganz stupid. Und sollte es nicht ungerecht finden? Denken kann ich nicht daran, als wenn man mich daran erinnert. und darin besteht noch meine Unschuld: es hat keinen Gehalt keine Gestalt für mein Bewußtseyn für mein Urtheil.“

 

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„Denken Sie sich lieber! Ich habe noch nie einen Menschen kennen gelernt, die alleroberflächlichsten visiten abgerechnet, u die Frauen, der mich nicht da mit quälte und [unkenntliche Streichung] ungeduldig machte, daß er mir sagte, er möchte mich allein sehen, u. haben. Alle wollten das. Ich habe es mir erklärt endlich; weil alle mich zur Vertrauten haben wollten; u ich ihnen mehr, als geduldig, intelligent zuhöhrte. Ihre Eitelkeit war nie gespannt u gereitzt mich in Gesellschaft zu besitzen, da hatten Sie anderes, u ich mochte ihre fahrläßigkeit

 

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in der sie Vorsätze, Treue, Zusammenhang, dort verletzten, wohl eher zur Last seyn: erkläre ich mir jetzt. Zu 16 Jahren ging es mir schon so. zu 20 oder mehreren Jahren, war ich dies so überdrüßig, daß ich erklärte – Gualtieren u mehreren Freunden – Ich sey kein Einsiedler, hielte keine Beichte, u wollte in der Welt leben und Gesellschaft haben wie die Anderen. Ich liebe unendlich Gesellschaft: u von je; und bin ganz überzeugt, daß ich dazu geboren, von der Natur bestimmt und ausgerüstet bin. Ich habe unendliche Gegenwart u Schnelligkeit des Geistes um aufzufaßen, zu antworten, zu behandeln. Großen Sinn für Naturen, u alle Verhältniße; verstehe Scherz u Ernst: u kein Gegenstand ist mir bis zur Ungeschiklichkeit fremd der dort vorkommen kann: Ich bin bescheiden, u gebe mich doch preiß durch Sprechen: u kann sehr lange schweigen: u liebe alles Menschliche, dulde beynahe alle Menschen. Warum bin ich also widerwärtig, und nicht für die Gesellschaft? Sagen Sie’s mir! Ich glaube es auch nicht; ich habe schon zu oft das Gegentheil erfahren: ganze coterien belebt, für längere Zeit. Aber ich müßte immer rein wie Schnee, ohne Urtheil, ohne Vorurtheil u meinen Nahmen auftreten können; wenn ich dies erst alles weglaßen soll, bleibt mir keine ganz reine Bewegung, und ich mache mich [Streichung] nur wieder rein, u [Streichung] los, durch Zeit. Wo man nicht von mir wußte, wo möglich meine geburth nicht, ist mir es immer gelungen. Führen Sie mir Ihre Gründe an warum Sie mich allein sehen wollen; u stellen Sie sich meine Wunder vor, daß Sie mit der selben alten Forderung kommen! adieu für heute! ich kann nicht mehr schreiben.“