3. Kapitel: Karoline von Günderrode
Günderrode war mit der Brentano-Familie befreundet und legte Wert auf intellektuellen und literarischen Austausch mit Clemens, Kunigunde (Gunda) und später mit Bettina Brentano, mit der es zu einem Bruch kam kurz vor Günderrodes Tod. Im Briefwechsel mit der Brentano-Familie geht Günderrode auf die Voraussetzungen und Bedingungen der Nähe ein. In einem undatierten, hier ausgestellten Brief an Clemens Brentano, der in Bettina von Arnims Briefbuch Die Günderode wortgenau aufgenommen wurde, setzt sich Günderrode mit der Frage nach der Selbstentfremdung im Briefwechsel auseinander, denn das Günderrode-Bild, das von Clemens Brentano wohl in seinem vorherigen Brief an sie vermittelt wurde, scheint kaum mit der Wirklichkeit übereinzustimmen. Im Akt des Schreibens würden, so Günderrode, Empfindungen und Gefühle erstarren. Zwar schreibt Günderrode in einem grotesk-humorvollen Ton, aber der Grundgedanke bleibt durchaus philosophisch: In der Briefkommunikation mag man eine intime Nähe mit dem anderen anstreben, dabei läuft man aber Gefahr, sich selber fremd zu werden.
Entfremdung wird auch zum Hauptthema in dem Brief von Günderrode an Gunda Brentano. Die zunehmende Einseitigkeit der Korrespondenz macht intime Nähe unmöglich. Mit Hilfe von Metaphern aus dem Bereich des Theaters drückt Günderrode das komplizierte Verhältnis von Aufrichtigkeit und (Selbst-)Inszenierung aus: „ich dächte man führe dich, in eine nicht ganz ferne Loge und lasse so die Schauspieler (Gedanken, Phantasien, Gefühl) vor Dir spielen aber hinter die Coulissen lasse man dich nicht komen, überhaupt das innerste Getriebe nicht sehen. – Aber ich kann das nicht Gunda, wenigstens fält es mir zu schwer, ich muß entweder das Schauspielhaus ganz verschließen, oder auch das innerste entschleiern.“