REZENSION 1:
Briefe an ein Frauenzimmer über die wichtigsten Produkte der schönen Literatur, herausgegeben von G.[arlieb] Merkel. Fünfter Band. Berlin 1802, S. 317-321 (Ein und siebzigster Brief):
„Wie viel taube Eier ihrer Art und Kunst hat die französische Mutter-Gans durch die Brut ihrer Nachfolgerinnen gelegt! – Fehlet es dem Mährchen an Einheit, an Verstand, an Absicht, sowohl im Ganzen, als in Fortleitung der Scenen, so ists ein kranker, gebrechlicher Traum.“ (Herders Adrastea, 3tes Stück.)
Die Verfasserin zeigt sehr glänzende Anlagen zum hitzigen Fieber, sonst nichts: denn sie erzählt nicht mit Phantasie, sondern sle phantasirt. Von allem, was Herder – und die Vernunft – von Dichtungen dteser Art fordert, ist in diesen Mährchen nichts anzutreffen. Aufs Gerathewohl brachte Madame B. die verworrenen Dinge zu Papier, die ihr zwischen Schlaf und Wachen vor die Seele treten mochten, ohne sich darum zu bekümmern , ob sie Sinn hätten oder nicht: daher stehen denn diese Wunderbilder noch tief unter Perraults Mährchen der Mutter Gans, bei denen der Verfasser doch etwas wollte, obgleich zuweilen etwas Ungereimtes, durch ungereimte Mittel. Auch den Ton des Vortrages trifft die französische Mutter Gans besser, als die Deutsche. Jene erzählt ganz einfach, oft sehr naiv; diese versucht hochdichterisch zu seyn, was bei Dingen solcher Art eine lächerliche Wirkung thut. […]
Der Mährchendichter ist der Freieste unter allen Künstlern, da ihm alle Gebiete und Schätze der Phantasie zu freiem Schalten offen stehn; aber er muß sie mit Kunstsinn zu einer verständig gewählten ästhetischen Absicht gebrauchen: sonst werden seine Gebilde nicht dichterisch, sondern albern.
Die Fabel eines Mährchens spielt in der Welt des Wunderbaren: aber auch in dieser muß alles absichtsvoll und vernünftig motivirt seyn, muß die Fabel nicht durch eine Reihe willkührlich zusammengefügter Abenteuer, sondern durch eine Handlung (moralisch-motivirte Thätigkeit der Helden) ausgeführt werden; sonst ist das Mährchen, statt wunderbar zu seyn, unsinnig.
Die handelnden Personen des Mährchens dürfen übernatürliche Wesen seyn; doch auch diese müssen einen Charakter haben, in welchem sie handeln und dem sie treu bleiben, nicht aber, wie in den Sächelchen der Madame B., ohne hinreichende Veranlassung thun, was ihr einfällt, und ohne alle Einleitung leiden, was sie gerade träumte. – Uebrigens: – Herder sagt, Perraults Mährchen hätten nicht die der Mutter Gans, sondern des Vaters Gansert heißen sollen. Ich müßte mich sehr irren, wenn das nicht auch wenigstens von ein Paar dieser Wunderbilder gelten sollte.
REZENSION 2
Der Freimüthige, oder Berlinische Zeitschrift für gebildete, unbefangene Leser. Herausgegeben von A. v. Kotzebue, Nr. 107, 7. Julius 1803, S. 426f.:
Es ist diesem Werke einer weiblichen Feder weder ein leichter und blühender Styl, noch auch, was denn doch in Mährchen die Hauptsache ist, Phantasie abzusprechen. Nur unterscheiden sich die Träume der Verfasserin im Vortrag und in der Anlage nicht genug von einander; und wenn es auch an wirklichen Träumen eine von vielen Beobachtern wahrgenommene Eigenschaft ist, daß sie, nicht bloß bei einer und der nehmlichen, sondern selbst bei mehreren verschiedenen Personen, sehr oft die nehmlichen Eindrücke in mehr oder weniger verschieden gemischten Bildern darstellen, so ist doch diese Eigenschaft an geschriebenen Träumen nicht zu loben, zumal wenn diese über ein Alphabet einnehmen.
In den meisten dieser kleinen phantastischen Dichtungen verliert sich wechselsweise der Gedanke oder die Empfindung in das Bild, und das Bild in den Gedanken oder die Empfindung, welches so wenig zu tadeln ist, daß die Verfasserin es vielmehr, als das wesentlichste Verdienst dieser Gattung, den feinsten und zartesten Erscheinungen, die wir in derselben besitzen, ablernen konnte. Eben hier ist aber ein sehr sicherer Instinkt vonnöthen, und dieser stand der Verfasserin nicht immer zur Seite: daher ihr Helldunkel zuweilen ermüdend genug wird, um wieder so täuschend an wirkliche Träume zu erinnern, daß man den Zustand, in welchem es sich allerdings am bequemsten träumt, herannahen fühlt.
Bisher sprach ich bloß von der Prosa der Verfasserin. Leider giebt sie sich auch mit Versen ab […]. Dies ist an einem weiblichen Talent kein erfreuliches, aber doch ein merkwürdiges Phänomen; denn es gehört zu diesen Extravaganzen […] so viel schlecht verdautes Studium, so viel litterarische Eitelkeit, Verzogenheit, Ziererei und Sucht nach Auszeichnung, daß man kaum begreift, wie eine Dame dazu kommt. Am natürlichsten […] scheint sich die Sache zu erklären, wenn man annimmt, daß die Verfasserin, indem sie bei ihren Mährchen die wenigen wirklich musterhaften Kleinigkeiten von Tiek in dieser Gattung zum Vorbild hatte, sich dadurch in den ganzen Wirbel mit fortreißen ließ, in welchen H. Tiek durch sein eigenthümliches Talent so unglücklich gerathen ist […] wenn er alle Gattungen der Dichtkunst in Ammenmährchen-Reime bringen will?
REZENSION 3
Neue Allgemeine Deutsche Bibliothek, [hrsg. von Friedrich Nicolai,] Neunundsiebenzigsten Bandes Zweytes Stück, Sechstes Heft, 1803, S. 363-367:
Die Wunderbilder und Träume […] sind ganz in der Manier erfunden und gedichtet, die die allerneueste Aesthetik, als die höchstpoetische, festsetzt; theils alberne Kinder und Spinnstubenmärchen, theils Erzeugnisse einer höchstverschrobenen und schwindelnden Phantasie. Ganz nach den Grundsätzen der modernsten poetischen Schule, berühren sie nirgends die Wirklichkeit; sondern schweben ganz in dem Elemente der hohen Ungereimtheit, von der die Tieckischen romantischen Dichtungen das erste Muster gegeben haben. Auch Darstellung und Diktion entsprechen ganz diesem Geiste oder vielmehr Nichtgeiste. Selbst Lieder, Sonnette und Achtzeilige Stanzen in dieser beliebten Reim- und Wassermethode kommen darin vor. Zum Belege dieses Urtheiles nur ein Beispiel […].
Bäume, Vögel seyd gepriesen!
Euer Rauschen, euer Singen
Wollt’ uns aus der Irre bringen,
Hat den schönsten Weg gewiesen.
Sänger, fröhlich, bunt von Farben,
Und du, Hoffnungsgrüner Wald!
Wie erfrischet ihr so bald
Herzen, die in Sehnsucht darben!
Darum seyd uns auch gepriesen!
Euer Rauschen, euer Singen
Wollt’ uns aus der Irre bringen
Zu der Liebe Paradiesen.
Ist das nicht Wunderschön? nicht ächt Tieckisch-poetisch? so recht ins Blaue hineingedichtet, und gereimt […]. Aus diesem Tone gehen alle eilf Märchen dieses Wunderbuches. Wenn man auch hier und da auf eine erträgliche Schilderung, auf ein nicht ganz schlechtes Bild, auch wohl einmal auf eine glückliche Stelle stößt, […] so ist doch die Erfindung in Allem gleich albern, und dieser erträglichen Schilderungen, dieser nicht ganz schlechten Bilder, dieser glücklichen Stellen sind zu wenig, daß sie den Leser auf keine Weise für die unsägliche Langeweile und Dürftigkeit des Ganzen entschädigen können.
Wr. [= Johann Friedrich Schink]
REZENSION 4
Europa. Eine Zeitschrift. Herausgegeben von Friedrich Schlegel. Ersten Bandes Erstes Stück. Frankfurt a.M.: Friedrich Wilmans 1803, S. 58:
Die Wunderbilder von Sophie Bernhardi verrathen ein entschiedenes Talent für Dichtung und Versifikation; die zarte Empfindsamkeit und Schwermuth, die das Ganze beseelt, ist um so schöner, da sie überall mit dem Kindlichen vereinigt ist. Die Prosa ist weniger gebildet, als die Verse, und das Ganze müßte vielleicht noch einmal gebildet werden, um so vortreflich zu erscheinen, als es gedacht ist.