30.01.2022

Otto Volger zum 200. Geburtstag

Frankfurter Goethe-Haus

Hochstiftsgründer und Retter des Goethe-Hauses

Die Geschichte des Freien Deutschen Hochstifts beginnt mit einer unscheinbaren Schrift, die im September 1859 im Verlag J. D. Sauerländer erschien, um die Gründungsversammlung unseres Vereins vorzubereiten. Ihr Titel: ‚Das Freie Deutsche Hochstift für Wissenschaften, Künste und allgemeine Bildung zu Frankfurt a. M. Vorläufiger Entwurf‘. Der Autor der kleinen Schrift war der Demokrat Otto Volger, damals Lehrer der Geologie und Mineralogie für die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft, der vor 200 Jahren, am 30. Januar 1822, in Lüneburg geboren wurde. Ein Geburtstag, dem das Freie Deutsche Hochstift mit Dankbarkeit gedenkt, denn Volgers Initiative im Herbst 1859 verdankt unser Verein nicht allein seine Existenz, ohne ihn wäre auch das Frankfurter Goethe-Haus vermutlich nie öffentliche Gedenkstätte und Museum geworden. Zu Recht bezeichnet ihn daher eine Gedenktafel im Hof des Verwaltungsgebäudes als Gründer des Freien Deutschen Hochstifts und Retter des Goethe-Hauses.

Volger Otto Foto nach 1864 c FDH

Volger hatte in Göttingen Naturwissenschaften studiert, war 1848 zum Vorsitzenden des Demokratischen Klubs in Göttingen gewählt worden und hatte auf mehreren Volksversammlungen für die nationale Einheit gestritten, sich für Rede- und Versammlungsfreiheit eingesetzt und Rechtsgleichheit sowie eine verbesserte Volksbildung gefordert, um es allen Bevölkerungsschichten zu ermöglichen, am politischen Entscheidungsprozess teilzunehmen. Nach dem Scheitern der Revolution hatte er im Mai 1849 seine Heimat verlassen müssen und war als Lehrer und Hochschullehrer in die Schweiz gegangen, bevor er im Jahr 1856 einen Ruf der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft erhielt, in Frankfurt am Main zu lehren. In der Stadt des deutschen Bundestages, als Dozent einer freien, staatlich unabhängigen Stiftung, nahm Volger seinen lange gehegten Plan zur Gründung einer gesamtdeutschen, freien Akademie wieder auf. In seiner bereits genannten Gründungsschrift rief Volger alle „vaterlandsliebenden Träger und Pfleger geistigen Strebens in allen Ständen zur Gründung des Freien Deutschen Hochstifts für Wissenschaften, Künste und allgemeine Bildung zu Frankfurt am Main“ auf. Eine Einladung, der am 23. Oktober 1859, „Abends 7 Uhr“, 56 Männer (41 Frankfurter und 15 aus anderen Orten) folgten, die im Haus der Loge „Carl zum aufgehenden Lichte“ in der Großen Gallusgasse zusammenkamen. Die Hochstiftsgründung war also keine Stiftung von oben, sondern eine Bürgertat. Die Ziele seines Vereins erläuterte Volger in seiner Begrüßungsrede: „Frankfurt ist der Sitz des staatlichen Bundestages, leider nicht der gesammten geistigen Macht des ganzen gebildeten Theils des Deutschen Volkes, sondern nur der Deutschen Fürsten. Die Stiftung unseres heutigen Vereines wird einen Bundestag des Deutschen Geistes gründen, und nicht bloß das Vorrecht der Fürsten der Wissenschaften und der Künste, sondern das gemeine Recht der Geistesbildung unseres ganzen Volkes wird auf diesem Bundestage vertreten sein.“ Unter den Farben Schwarz-Rot-Gold wollte man „das gemeine Recht der Geistesbildung“ dem ganzen Volk ermöglichen. Die an diesem Abend entworfene Satzung ist fortschrittlich. Mitglied kann „jeder Freund Deutscher Wissenschaft, Kunst und allgemeiner Bildung“ werden, unabhängig von Konfession, Geschlecht oder Bildungsstand. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten etwa der Arzt und Philosoph Ludwig Büchner, der Begründer der Deutschen Gold- und Silber-Scheideanstalt (Degussa), Friedrich Ernst Roessler, sowie des „Jungen Deutschlands Buchhändler“ Carl Friedrich Loening.

 Anteilsschein FDH 01.09.1862 c FDH

Volgers Hochstiftsidee war eine Mischung aus Revolution und Romantik und der Name des Vereins ist heute erklärungsbedürftig. „Frei“ und „Deutsch“ sollte die neue Vereinigung sein, frei von jeglicher staatlichen Abhängigkeit, eine Pflegestätte der geistigen Einheit, die, „aller staatlichen Zersplitterung“ zum Trotz, gesamtdeutschen Geist und Bildung fördern und verkörpern sollte. Mit dem Wort „Hochstift“ erinnerte Volger an die mittelalterlichen Bistümer, die zu ihrer Zeit Mittelpunkte des geistigen Lebens waren und reihte seine Gründung aus dem Geist der Paulskirche damit in eine ehrwürdige nationale Tradition ein. Das Freie Deutsche Hochstift dachte Volger „nicht blos für Gelehrte und für Künstler – es ist, wie ein Kirche, für Alle gegründet“, weshalb es auch allen offenstehe. Für ihn stand die „allgemeinen Bildung“ im Zentrum, die es dem deutschen Volk erst ermögliche, sich selbst und „die Bedeutung fremder Völker“ zu schätzen.

 Goethehaus um 1871 Mylius Hirschgraben Chronik

Bis 1881, also gut 22 Jahre, prägte Volger die Entwicklung des Freien Deutschen Hochstifts. 1863 kaufte er aus eigener Initiative und zuerst aus eigenen Mitteln, Goethes Elternhaus im Großen Hirschgraben und rettete es vor dem Verfall. Er machte es zu einer öffentlichen Erinnerungsstätte – lange bevor sich in Weimar 1885 die Tore des Goethehauses für alle öffneten. Indem Volger mit feinem Gespür ein erstes öffentlich zugängliches Zentrum der Goetheverehrung in Deutschland schuf, stellte er sich an die Spitze einer Entwicklung, die dem wachsenden Bedürfnis des Bürgertums nachkam. Auch das ein Projekt im Sinne der Volksbildung, ebenso wie der Aufbau einer Bibliothek und verschiedener Sammlungen (des sogenannten „Goetheschatzes“), die später den Grundstein für unser Museum bildeten und die Goetheforschung anregten. Mit dem Ankauf des Frankfurter Goethe-Hauses gelang es ihm auch, Goethe zum Schutzgeist des Hochstifts zu machen. Von nun an war es der Name und Ruhm Goethes, der dem Hochstift in politisch unsicheren Zeiten die Freiheit bewahrte oder half, berühmte Persönlichkeiten und Mäzene an Goethes Elternhaus und das Hochstift zu binden. Auch die Stadt Frankfurt hat ihm dadurch viel zu danken, denn als einem Symbol für die deutsche Kultur wird dem Frankfurter Goethe-Haus national und international bis heute ein hoher Stellenwert beigemessen.

Auch wenn die Beziehung Volgers zum Hochstift im Streit endete und er sich schließlich verbittert nach Sulzbach im Taunus zurückzog, wo er 1897 starb, bleibt die Hochstiftidee für alle Zeiten mit seiner charismatischen Persönlichkeit verbunden. Die Grabstätte Otto Volgers auf dem Frankfurter Hauptfriedhof hat das Freie Deutsche Hochstift mit Hilfe eines Mitglieds pünktlich zum Jubiläum neu herrichten lassen. Auf dem Grabstein steht: „Dem Gründer des Freien Deutschen Hochstifts. Dem Retter u. Erhalter von Goethes Geburtshaus“.

Volger Ott Grab Hauptfriedhof Ffm Gewann J   815 c A.P.Englert

Foto © Alexander Paul Englert