Das Projekt

Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurden von der Historikerin Dr. Anja Heuß die Provenienzen der Kunstwerke in den Sammlungen des Freien Deutschen Hochstifts geprüft, die in der Zeit des Nationalsozialismus erworben wurden. Ein Jahr lang wurde sie dabei von der studentischen Hilfskraft Merle Meta Kubasch unterstützt. Das Projekt begann im Januar 2019 und endete im September 2021. Es wurde vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste mit Sitz in Magdeburg gefördert. Die Ergebnisse werden hier erstmals im Ganzen vorgestellt.

 

Provenienz = Herkunftsgeschichte

Die Provenienzforschung untersucht die Herkunft eines Kunstwerkes mit dem Ziel, den Stammbaum eines Gemäldes möglichst lückenlos darzustellen. Sie beschäftigt sich mit den Besitzern der Kunstwerke, recherchiert ihre Biographien, erstellt ein Sammlungsprofil und untersucht die Umstände, die zur Auflösung der Sammlung geführt haben.

Schwerpunkt NS-Raubgut

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden zahlreiche Personengruppen aus ideologischen Gründen verfolgt; darunter befanden sich vor allem Personen, die nach der nationalsozialistischen Ideologie als Juden galten. Es wurden jedoch auch Personen wegen ihrer politischen und religiösen Überzeugung verfolgt, wie zum Beispiel Kommunisten, Sozialisten, Freimaurer und die Zeugen Jehovas. Diese Personen trennten sich meist nicht freiwillig von ihren Kunstwerken: Entweder sie gaben sie in den Kunsthandel, um ihren Lebensunterhalt oder ihre Emigration zu finanzieren, oder die Kunstwerke wurden direkt von Stellen der NSDAP oder des Deutschen Reiches beschlagnahmt.

Auftrag und Grundlagen

Am 3. Dezember 1998 wurde auf der Washington Conference on Holocaust-Era Assets eine Erklärung mit 11 Prinzipien zum Umgang mit NS-Raubkunst verabschiedet. Darin werden die kultursammelnden Institutionen weltweit aufgefordert, geraubte Werke in ihren Sammlungen zu identifizieren, transparent damit umzugehen, die Erben ausfindig zu machen und mit ihnen eine „faire und gerechte Lösung“ zu finden. Mit der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom 9. Dezember 1999 wurde ein breiter Konsens für die Rückgabe von entzogenem Kulturgut geschaffen. Diese Rückgaben finden auf der Basis des „Goodwill“ statt und lassen eventuell bestehende juristische Verjährungsfristen unberücksichtigt. Seitdem werden Projekte zur Provenienzprüfung in zahlreichen Museen und Bibliotheken mit Mitteln des Bundes, der Länder und der Kommunen durchgeführt.

Das Freie Deutsche Hochstift hat sich 2018 dieser besonderen Verantwortung gestellt und sieht es als seine Pflicht an, den eigenen Bestand auf unrechtmäßig erworbene Kulturgüter zu untersuchen. Gerade in der Stadt Frankfurt am Main mit seinen zahlreichen jüdischen Stiftern und Mäzenen, die auch das Freie Deutsche Hochstift förderten, ist es dem Hochstift ein dringendes Anliegen, NS-Raubgut in seinen Sammlungen zu identifizieren. Sofern es sich zweifelsfrei um einen Restitutionsfall handelt, werden die Erben aktiv gesucht und kontaktiert, um eine faire und gerechte Lösung im Sinne der Washingtoner Konferenz zu finden.

Wie geht das?

Bei den Recherchen werden zahlreiche Quellen hinzugezogen und zusammengeführt: zunächst die bereits vorhandenen Informationen in der Überlieferung des Freien Deutschen Hochstifts. Dazu werden Inventarbücher, Inventarakten und Bestandskataloge überprüft, Sekundärliteratur hinzugezogen sowie die Kunstwerke selbst begutachtet. Sofern sich Provenienzmerkmale auf ihnen befinden, also Sammlerstempel, Aufschriften, Zollstempel oder ähnliches, werden diese fotografiert und ausgewertet.

In einem zweiten Schritt werden Akten in öffentlichen Archiven ausgewertet, zum Beispiel Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt, der Reichskulturkammer und der Finanzbehörden aus der Zeit des Nationalsozialismus sowie Wiedergutmachungsakten aus der Zeit nach 1945.

Zahlreiche Quellen können mittlerweile digital recherchiert werden. So können zum Beispiel Auktionskataloge aus der Zeit 1901 – 1945 aus dem gesamten deutschsprachigen Raum online eingesehen werden.

Was wurde geprüft?

Im Rahmen dieses Forschungsprojektes wurden alle Erwerbungen von Kunstwerken in der Zeit 1933 – 1945 überprüft. Dazu gehören Gemälde, Zeichnungen, Plastiken, Münzen und Medaillen. Nicht überprüft wurden die Druckgrafiken und Fotos, da es sich hierbei nicht um Unikate handelt. Ebenfalls wurden Kunstwerke nicht einbezogen, die heute nicht mehr im Bestand sind, weil sie beispielsweise kriegsbedingt verloren gingen.

Insgesamt wurden in der Zeit des Nationalsozialismus 227 Objekte erworben, das heißt 62 Gemälde, 21 Plastiken, 7 Münzen und Medaillen sowie 137 Zeichnungen und Aquarelle. Der überwiegende Teil der geprüften Objekte befindet sich im Depot des Freien Deutschen Hochstifts, einige sind zurzeit in den Dauerausstellungen des Deutschen Romantik-Museums und im Goethe-Haus zu sehen.

Das Ergebnis

Von den 227 Objekten weisen 21 Gemälde und Grafiken entweder eine problematische Provenienz auf oder es besteht zumindest ein begründeter Verdacht auf eine verfolgungsbedingte Entziehung. Es handelt sich damit um 9,25% der Erwerbungen in der Zeit von 1933 bis 1945. Bei den Münzen, Medaillen und Plastiken fanden sich keine Fälle von Raubkunst.

Auf der Hochstift-Website werden vier Werke mit problematischer Provenienz vorgestellt.

Das gesamte Konvolut der geprüften Werke finden Sie auf der Website museum digital.

Ausblick

Seit Oktober 2021 widmet sich Dr. Anja Heuß den Handschriften im Freien Deutschen Hochstift. Es handelt sich dabei um ein Konvolut von 984 Handschriften, die in der Zeit 1933 – 1945 erworben wurden. Auch dieses zweite Projekt zur Provenienzforschung im Freien Deutschen Hochstift wird dankenswerterweise vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg finanziell unterstützt. Nach Abschluss der Recherchen werden die Handschriften ebenfalls in museum digital mit Digitalisat und Angabe der Provenienzen veröffentlicht werden.

Literatur

Anja Heuß: Tischbein gesucht! In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts / Frankfurter Goethe-Museum, Frankfurt am Main 2020

Anja Heuß: Das Beethoven-Medaillon. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts / Frankfurter Goethe-Museum, Frankfurt am Main 2021

 

Weiterführende Links 

Universitätsbibliothek Heidelberg Auktionskataloge – digital

museum digital: Systematische Provenienzforschung der Bestände im Bereich Kunstsammlungen des Freien Deutschen Hochstifts

Deutsches Zentrum Kulturgutverluste

Lost Art-Datenbank Deutsches Zentrum Kulturgutverluste

Das Forschungsprojekt wird gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste

KONTAKT

Dr. Mareike Hennig

Leiterin Goethe-Haus, Goethe-Galerie und Kunstsammlungen

Tel.: +49 (0)69 138 80-281
mhennig (at) freies-deutsches-hochstift.de

Dr. Anja Heuß

Provenienzforschung

Tel.: +49 (0)69 138 80-230
aheuss (at) freies-deutsches-hochstift.de