Restitutionsfall 1
Ferdinand Jagemann:
Carl August Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, um 1816/17
Öl auf Leinwand, 98,9 x 69,4 cm
Inventarnummer: IV-01786
Das Gemälde mit dem Porträt des Großherzogs Carl August befand sich mindestens seit 1925 im Besitz von Gustav Stresemann (1878 – 1929). Der nationalliberale Politiker Gustav Stresemann war 1919 Mitglied der Nationalversammlung in Weimar. Im selben Jahr gründete er die nationalliberale Partei DVP und wurde 1920 ihr Fraktionsvorsitzender. 1923 war er Reichskanzler und von 1923 bis 1929 Reichsaußenminister der Weimarer Republik.
Er hinterließ eine Witwe, Käte Stresemann (1883 – 1973), geborene Käthe Kleemann, und zwei Söhne. Da sie jüdischer Herkunft war, wurden sie und ihre Söhne verfolgt. 1938 heiratete sie den norwegischen Diplomaten Rasmus Skylstadt (1893 – 1972). Er war Sekretär im norwegischen Auswärtigen Amt in Oslo und Abteilungschef beim Völkerbund in Genf. Durch die Heirat erhielt sie automatisch die norwegische Staatsangehörigkeit. Wegen der zunehmenden Verfolgung entschloss sich Käte Stresemann mit ihrem Sohn über die Schweiz in die USA zu emigrieren. Kurz vor der Emigration übergab sie das Gemälde dem Berliner Kunsthändler Karl Ernst Henrici, der es dem Freien Deutschen Hochstift zum Kauf anbot. Aus der Korrespondenz geht hervor, dass Henrici nur der Vermittler bei diesem Geschäft war und die Witwe auf eine schnelle Abwicklung drängte. Im Mai 1939 erwarb das Hochstift das Gemälde zu einem wesentlich niedrigeren Preis als ursprünglich gefordert.
Nachdem deutlich wurde, dass es sich um einen unrechtmäßigen Erwerb gehandelt hat, wurde im Jahr 2020 Kontakt mit den Erben aufgenommen; in einem (Video-) Gespräch wurden die Forschungsergebnisse geschildert und Informationen ausgetauscht. Den Erben war bis dahin nichts über die Existenz dieses Gemäldes bekannt gewesen. Bald nach dem Gespräch teilten sie mit, dass sie dieses Gemälde dem Freien Deutschen Hochstift als Geschenk überlassen möchten. Es ist nun rechtmäßiger Besitz des Hochstifts und wird in der Goethe-Galerie im Deutschen Romantik-Museum gezeigt.
Restitutionsfall 2
Anonym, 18. Jahrhundert:
Vorführung einer Laterna Magica, um 1760/1770
Öl auf Leinwand, 104,5x82,4 cm
Inventarnummer: IV-01784
Das Gemälde wurde 1932 in einer Publikation des Freien Deutschen Hochstifts zum international gefeierten 100. Todestag Goethes erstmals vorgestellt. Als Eigentümer wurde der Frankfurter Landgerichtsrat Dr. Arthur Adler-Stiebel (1882 – 1938) genannt.
Dr. Arthur Adler-Stiebel lebte mit seiner Mutter in einer Villa im Frankfurter Westend. Im Zuge des Novemberpogroms 1938 wurde er verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald in der Nähe von Weimar gebracht, wo er in einem „Sonderlager“ vier Wochen lang inhaftiert und misshandelt wurde. Kurz nach seiner Entlassung starb er am 25.Dezember 1938 an den Folgen der Haft.
Zurück blieb seine Mutter Hermine Stiebel, die die Villa samt Innenausstattung erbte. Sie wurde von den Finanzbehörden mit diskriminierenden Abgaben und Steuern wie zum Beispiel der Judenvermögensabgabe konfrontiert und war nach dem Tod ihres Sohnes ohne Einkommen. Daher verkaufte sie die Villa 1938 und zog in eine kleine Wohnung um. Vor dem Auszug ließ sie einen Teil der Innenausstattung bei einem Frankfurter Auktionator versteigern. Dieses Gemälde jedoch übergab sie wohl dem Frankfurter Kunsthändler Joseph Fach, der es im Februar 1939 (als Werk von Johann Georg Trautmann) an das Freie Deutsche Hochstift verkaufte. Auch wenn es keinen schriftlichen Beleg gibt, so ist der Erlös erfahrungsgemäß 1939 nicht an die jüdische Eigentümerin geflossen, sondern direkt zur Begleichung der diskriminierenden Abgaben verwendet worden. Daher wird dieser Erwerb als Restitutionsfall gewertet. Um diese Restitution in die Wege zu leiten, wurde nach möglichen Erben gesucht. Zwar war die Suche erfolgreich, jedoch hat der im Ausland lebende Erbe auf Anfragen bisher nicht reagiert.
Das Gemälde ist im Puppentheaterzimmer des Goethe-Hauses zu besichtigen. Eine Tafel informiert über die Geschichte des Bildes.
Restitutionsfall 3
Johann Christian Fiedler (1697 – 1765):
Selbstporträt
Pastell auf Pergament, 32,7 x 25,3 cm
Inventarnummer: IV-01643
Das Selbstporträt von Johann Christian Fiedler befand sich von 1930 bis 1934 im Besitz von Regina Birnbach (1894 – 1938), geborene Spinat in Frankfurt. Sie führte zusammen mit ihrem Mann Michael Birnbach (1891 – 1965) das „Kaufhaus des Ostends“ in der Hanauer Landstraße 45 in Frankfurt. Die Familie Birnbach gehörte zu den sogenannten „Ostjuden“, die sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im Ostend in Frankfurt angesiedelt hatten. Sie stammte ursprünglich aus Lanzut in Polen.
Bei dem „Kaufhaus des Ostends“ handelte es sich um ein sogenanntes Teilzahlungsgeschäft, das Erwerbungen auf Kredit abwickelte. Möglicherweise hatte sie dieses Gemälde als Sicherheit für einen Kredit erhalten, der dann nicht ausgelöst wurde. Über die Frankfurter Kunsthandlung J.P. Schneider verkaufte sie das Bild im September 1934 an das Freie Deutsche Hochstift.
1934 verließ die 14-köpfige Familie Birnbach Frankfurt mit einem Trick: Sie täuschte den Behörden und sogar ihrer eigenen Hausangestellten vor, dass sie nur einen kurzen Ausflug machen würden. Tatsächlich fuhren sie heimlich über die Grenze in die Schweiz und verließen 1934 das Deutsche Reich für immer, ohne irgendetwas mitzunehmen.
Im Jahr 2020 wurde Kontakt mit einer Erbin in den USA aufgenommen und der Austausch begonnen. Das Gemälde befindet sich im Depot des Freien Deutschen Hochstifts.
Restitutionsfall 4
Ludwig Gottlieb Karl Nauwerck (1772 – 1855):
Walpurgisnacht: Tanz und Gretchen-Erscheinung auf dem Blocksberg
Pinsel in Schwarz, über Bleistift auf braunem Papier; 37,2 x 55,1 cm (Blatt)
Inventarnummer: III-12273
Die Zeichnung wurde im September 1936 von Martha (Moo) Oppenheimer (1896 – 1997) an das Freie Deutsche Hochstift verkauft.
Martha (Moo) Oppenheimer, geborene Speier, wurde in Frankfurt am Main geboren. Sie studierte am Städelschen Kunstinstitut bei Frieda Blanca von Joeden (1878 – 1955), Mitglied des Frauenkunstverbandes, und Mathilde von Battenberg (1878 – 1936). Nach ihrem Studium im Bereich Holzschnitt, Plakatzeichnen und Reklamewerbung wurde sie Reklamefachfrau. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete sie für das Rote Kreuz und leitete ein Kinderheim in Metz; dabei lernte sie ihren späteren Ehemann, den Gynäkologen Hermann Oppenheimer (1865 – 1972) kennen. Beide waren jüdischer Herkunft und wurden deshalb in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt. Hermann Oppenheimer gab seine Praxis Ende 1937 auf und bereitete die Emigration der Familie nach London vor. Sie emigrierten im März 1938 nach London, wo sie zunächst unter schwierigen Bedingungen eine 13-köpfige Familie zu ernähren hatten. Beide erhielten keine Arbeitserlaubnis für ihren Beruf in Großbritannien.
Das Ehepaar baute daraufhin eine Kunsthandlung mit dem Namen „The Golden Past“ in London auf. Unter dem Namen „HW Oppenheimer“ avancierten sie zu einem sehr renommierten Geschäft für antiken Schmuck in London, das sogar das British Museum zu seinen Kunden zählte.
Die Zeichnung befindet sich im Graphik-Depot des Freien Deutschen Hochstifts.
Mit der Enkelin von Martha Oppenheimer wurde Ende 2021 Kontakt aufgenommen. Durch den Austausch konnten viele weitere wertvolle Informationen über die Familie Oppenheimer und ihr Schicksal vor und nach ihrem Exil gewonnen werden. Dabei wurde auch deutlich, dass Martha Oppenheimer in Frankfurt bereits in den 1930er Jahren mit Kunstwerken handelte. Die Provenienz dieser Grafik ist somit problematisch, aber nicht vollständig geklärt. Möglicherweise verkaufte Martha Oppenheimer diese Grafik im Auftrag einer anderen Person an das Freie Deutsche Hochstift.
Restitutionsfall 5
Johann Christian Vollerdt (1708 – 1769):
Dresden vom rechten Elbufer
Öl auf Leinwand, 62,5 x 76,7cm. Entstanden 1756
Inventarnummer IV-01644
Der Maler Johann Christian Vollerdt war ein Schüler des Dresdner Hof- und Landschaftsmalers Johann Friedrich Alexander Thiele (1747 – 1803). Mit der Dresdner Ansicht wiederholte er ein Motiv, das sein Lehrer 1726 radiert hatte, und hielt sich dabei eng an die Vorlage. Auf dem Meilenstein ist das Monogramm „AR“ angebracht; es verweist auf Augustus Rex, den regierenden Kurfürsten von Sachsen, Friedrich August II. Sie war bis 1934 Eigentum der Galerie Dr. Fritz Goldschmidt, Berlin.
Der Inhaber bot das Gemälde am 27. Juni1934 dem Freien Deutschen Hochstift für 750 RM an, schickte es am 1. August 1934 zur Ansicht nach Frankfurt und verkaufte es schließlich am 13. September 1934 für 450 RM. Entsprechende Preisverhandlungen sind in der vorliegenden Erwerbungsakte nicht dokumentiert, so dass die Unterlagen vermutlich unvollständig sind.
Zum Freien Deutschen Hochstift bestanden bereits vor 1933 Geschäftsbeziehungen zur Kunsthandlung Goldschmidt-Wallerstein. So verkaufte sie 1931 zwei Porträts von Anton Graff (Christian Gottfried Körner und Minna Körner) sowie 1932 Philipp Hackerts Gemälde ‚Grabmal der Plautier‘ an das Hochstift. Der Verkauf der Vollerdtschen Vedute aus dem Jahr 1934 wird dennoch als verfolgungsbedingte Entziehung gewertet, da dieser unter gänzlich anderen politischen Rahmenbedingungen stattfand: Fritz Goldschmidt und Victor Wallerstein mussten im Sommer 1934 ihr Geschäft aufgrund „rassischer“ Verfolgung aufgeben. Der Verkauf erfolgte im zeitlichen und kausalen Zusammenhang mit der erzwungenen Auflösung des Geschäftes. Goldschmidts offensives Drängen auf den Ankauf durch das Hochstift, deutet zudem auf den ökonomischen Druck hin, der auf ihm lastete. Zwar hat er den Kaufpreis definitiv erhalten, die Summe lag jedoch deutlich unter dem anfangs geforderten Preis. Das Freie Deutsche Hochstift hat sich daher zur Restitution entschlossen.
Die Kunsthistoriker Dr. Fritz Goldschmidt (1866-1935) und Victor Wallerstein (1878 – ?) waren Inhaber der 1919 gegründeten Galerie Goldschmidt-Wallerstein in Berlin, Schöneberger Ufer 36a. Zum Zeitpunkt des Verkaufs an das Freie Deutsche Hochstift im Jahr 1934 hatten sich die beiden Geschäftspartner bereits wieder getrennt. Beide Kunsthändler waren jüdischer Herkunft und litten unter der nationalsozialistischen Verfolgung. Das Haus am Schöneberger Ufer 36a hatte Goldschmidt von seinem Vater geerbt. 1921 eröffnete er gemeinsam mit Victor Wallerstein in der zweiten Etage eine Moderne Abteilung mit Werken von zeitgenössischen Künstlern, wie Erich Heckel, Otto Müller, Lyonel Feininger, Oskar Kokoschka oder Wassily Kandinsky. 1927 musste die moderne Abteilung aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten aufgelöst werden. 1928 bezogen Goldschmidt und Wallerstein neue Geschäftsräume in der Viktoriastraße 21 im Tiergarten und konzentrierten sich wieder auf alte Malerei und Skulpturen. Die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre setzte der Galerie jedoch weiterhin stark zu. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde die Lage überaus kritisch: Die Galerie schloss im Sommer 1934 und wurde zwei Jahre später im Handelsregister gelöscht. Fritz Goldschmidt starb nach langer Krankheit am 19. Juli 1935 in Berlin.
Seit 1915 war Fritz Goldschmidt mit Helene Goldschmidt, geborene Kühn, verheiratet. Das Ehepaar hatte zwei Söhne, Peter Rudolf (*11.4.1923 in Berlin) und Fritz (*8.10.1926 in Berlin), die beide von ihm als Erben eingesetzt wurden. Da die Söhne bei seinem Tod noch minderjährig waren, war seine Witwe der Vormund. Als Fritz Goldschmidt starb, war der Nachlass überschuldet, die Firma befand sich in Liquidation. Seine Witwe führte eine Kunsthandlung unter einer anderen Adresse in Berlin weiter. Die beiden Söhne überlebten im Versteck in Holland.
Victor Wallerstein war 1934/1935 weiterhin als Kunsthändler in Berlin tätig, musste aber 1936 nach Italien emigrieren. Er starb 1944 durch einen Bombenangriff der Alliierten in Florenz.
Das Gemälde wurde am 30. Juli 2024 an die Erben nach Fritz Goldschmidt restituiert. Es befindet sich damit nicht mehr in der Sammlung des Freien Deutschen Hochstifts.
Ein Restitutionsfall?
Justus Juncker:
Trompe-L’oeil mit Selbstbildnis, 1732
Öl auf w., doubliert, 87,4x70,9 cm
Inventarnummer: IV-1943-004
Bei dem Selbstbildnis von Justus Juncker handelt es sich um einen Verdachtsfall. Er steht hier exemplarisch für die vielen ungelösten Fälle, bei denen mangels Informationen keine Entscheidung gefällt werden kann.
Das Gemälde erwarb Alfred Wolters (1884 – 1973), stellvertretender Direktor des Städels und Leiter der Städtischen Galerie in Frankfurt am Main, im Juni 1941 in Wien. Dies geht hervor aus seinem Dienstreisebericht aus dem Archiv des Städels, der uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde. Wolters berichtete darin dem Kulturreferat der Stadt Frankfurt, wie er Mitte Juni nach Wien fuhr und dort innerhalb von zwei Tagen zahlreiche „grosse, kleine und kleinste Kunsthändler“ aufsuchte. Bei einem dieser – nicht namentlich genannten – Kunsthändler erwarb er das Gemälde eines unbekannten Künstlers mit einem Porträt, das er aufgrund seiner profunden Kenntnisse der Frankfurter Malerei als ein Selbstporträt von Justus Juncker identifizierte. Er bot es zunächst dem Stadtgeschichtlichen Museum in Frankfurt (heute: Historisches Museum Frankfurt) zum Kauf an, welches jedoch kein Interesse zeigte. Daraufhin verkaufte er es 1941 dem Freien Deutschen Hochstift.
Da der Ankauf nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs und der daraufhin einsetzenden Verfolgung jüdischer Sammler stattfand, besteht hier ein starker Verdacht auf einen Zwangsverkauf. Jedoch gibt es keinerlei Hinweise auf den ursprünglichen Eigentümer in Wien. Es ist auch schwierig, in Auktionskatalogen oder anderen Unterlagen nach dem anonymen Porträt eines unbekannten Künstlers zu suchen. Daher gibt es derzeit keine Möglichkeit, die Provenienz aufzuklären und eine faire und gerechte Lösung herbeizuführen.
Das Gemälde von Justus Juncker ist in der Goethe-Galerie im Deutschen Romantik-Museum zu sehen.